Fehler machen will gelernt sein… (2024)

Marie und ihr Pony Lotti – ein Beispiel

Marie bindet ihr Pony Lotti immer am Putzplatz an, woLotti gerne rumhampelt.Eigentlich tut Lotti dies nur, weil sie sich unsicher fühlt, wenn man sie in ihrer Bewegung einschränkt, doch das weiß Marie nicht. Vielleicht weil Marie noch zu klein ist um das erkennen zu können, vielleicht hat sie Lotti auch noch nicht so lange oder – und das ist relativ häufig der Fall – es hat ihr schlichtweg niemand erklärt, dass Pferde Fluchttiere sind und sich unwohl fühlen, wenn sie wissen, dass sie nicht flüchten können, wenn sie Angst haben. Im Gegenteil, weil Lotti immer so rumhampelt kommt ein Erwachsener und erklärt Marie, dass sie Lotti einfach kürzer anbinden muss, dann würde sie ruhiger stehen, weil sie nicht mehr die Möglichkeit hätte zu hampeln. Das macht für Marie Sinn und weil Erwachsene das ja wissen müssen, bindet sie Lotti also fortan kürzer an. Lotti findet das wenig lustig, fühlt sie sich doch durch den noch kürzeren Strick noch mehr eingeschränkt und wird noch unruhiger.

Fehlersuche

Wer aber hat nun einen Fehler gemacht? Das kommt nun auf den Blickwinkel des Betrachters an. Der eine wird sagen Marie, denn sie hat ihr Pony noch mehr eingeschränkt statt sich mit diesem Verhalten auseinander zu setzen und zu versuchen zu verstehen, warum Lotti vielleicht hampelt. Vielleicht wird sie erkennen, dass Lotti so noch unruhiger ist und den Strick wieder länger machen. Dann hat sie aus ihrem Fehler gelernt und festgestellt, dass der Weg mit dem kürzeren Strick eine Sackgasse ist. Doch kann man ihr einen Vorwurf machen? Den Anstoß zu diesem Fehler hat ja schließlich der Erwachsene gegeben, der ihr diesen Rat gegeben hat, nicht wahr? Also hat er den Fehler gemacht… oder doch nicht?! Denn vielleicht wissen es beideja auch einfach nicht besser. Vielleicht hat auch der Erwachsene nie jemanden gehabt, der ihm einen anderen Weg gezeigt hat. Wie sollen Marie und ihr Ratgeber wissen was richtig ist, wenn sie nur falsch kennen? Es wird übrigens auch die Leute geben, die den Fehler bei Lotti suchen. Schließlich gäbe es das Problem aus unserem Beispiel nicht, wenn Lotti nicht hampeln sondern einfach still stehen würde. Ohje, nun ist das Fehler-Chaos perfekt.

Fehler machen will gelernt sein…

… das betrifft Mensch und Pferd gleichermaßen. Mit ihnen lernt es sich besser, effektiver, bewusster… Fehler zu machen ist gut für uns und hilft uns unsere Ziele zu erreichen. Ja, Fehler sind tatsächlich dafür da um gemacht zu werden. Denn nur wer weiß was falsch ist, erkennt auch was richtig ist. Das ist wie mit hell und dunkel, laut und leise, groß und klein, dick und dünn… das eine gibt es eben nur, weil auch das andere existiert. Selbstverständlichkeiten, über die wir uns im Leben viel zu selten Gedanken machen. Dabei beeinflussen sie uns ein Leben lang. Jeden Tag.

In der Arbeit mit unseren Pferden ist das nichts anderes. Wer sich die Zeit nimmt andere mit ihren Pferden zu beobachten, der wird solche Szenen wie aus unserem Beispiel von Marie und Lotti sicher schon einmal miterlebt haben.Ihr auch?! Na dann habt ihr euch sicherauch schon maldie Frage gestellt haben, warum derjenige nicht erkennt, dass das was er da tut (zumindest in unseren Augen) falsch ist. Doch die Frage lässt sich so einfach eben gar nicht beantworten. Wir Menschen neigen gerne dazu einander Mutwilligkeit zu unterstellen. Wie schnell ist man verleitet zu sagen „Was für ein schlechter Mensch, was tut er seinem Pferd da nur an!“. Selten macht sich hingegen jemand die Mühe zu fragen „Weiß er überhaupt, dass es auch anders geht?“. Wer nur eine Seite kennt, der weiß nicht, dass es auch eine Alternative gibt. Für ihn fühlt sich falsch eben richtig an. Gründe dafür gibt es viele… mangelnde Erfahrung, falsche Vorbilder… oder der viel zitierte Satz „never change a running system“. Denn da ist er, der kleine aber feine Haken: wenn etwas für mich augenscheinlich und gefühlt funktioniert, warum sollte ich daran zweifeln oder gar nach Alternativen suchen? Bis ich an den Punkt gelange, an dem ich merke, dass es eben nicht mehr funktioniert. Wenn ich erkenne, dass ich einen Fehler gemacht habe, fange ich im besten Fall an nach einer Alternative zu suchen. Wenn diese besser oder auch schlechterfunktioniert, habe ich daraus vielleicht gelernt. Mein Fehler hat mir also geholfen einen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Ja, vielleicht lande ich wie die kleine Marie in unsererGeschichte aber auchwieder in einer Sackgasse…doch dann drehe ich eben wieder um und suche aufs Neue. Vielleicht gerate ich auch an einen Menschen, der mir hilft Fehler zu vermeiden. Solche Menschen sind kostbare Wegweiser in einem Dschungel aus Möglichkeiten. Trainer, Freunde, Familie… oder auch Menschen, deren Arbeit mir nicht gefällt. Auch sie helfen mir zu erkennen was richtig und was falsch ist. Mitnehmen kann ich also immer etwas. Im Zweifelsfall eben wie es nicht sein sollte.

Zu einer solchen Erkenntnis zu gelangen setzt natürlich voraus, dass ich mein eigenes Verhalten selbst reflektieren kann. Im Bezug auf unsere Pferde bedeutet das auch, dass ich in der Lage sein muss zu erkennen, dass das Pferd nur selten der Grund für einen Fehler ist. Wer sein Pferd liebt, dem wird das leicht fallen. Wer es hingegen als Sportgerät betrachtet, der wird hier Schwierigkeiten haben. Da Personen letzterer Sorte diesen Blog aber vermutlich eh nicht lesen würden, erspare ich uns an dieser Stelle eine tiefergehende Ausführung und komme zum eigentlich interessanten Teil dieses Themas:

Warum auch Pferde die Freiheit bekommen solltenFehler machen zu dürfen…

Wenn wir mit unseren Pferden arbeiten, dann ist unser Ziel in der Regel dem Pferd ein bestimmtes Verhalten, ein bestimmtes Bewegungsmuster oder eine bestimmte Haltung anzutrainieren. Mit der Absicht, dass wir gut miteinander auskommen möchten,es möglichst lange gesund bleiben soll und wirim besten Falle zu einem echten Team werden,versuchen wir ihm Abwechslung zu bieten und ihm zu vermitteln, was gut für es ist. Dabei gibt es viele Wege, viele Systeme, Reitweisen, Ziele… doch die Komponenten sind immer gleich: Mensch und Pferd. Nun können wir unser Pferd in eine starre Form pressen, in die es sich fügt und aus der es nicht entkommen kann – gelernt hat es dann allerdings nichts, außer dass es sich nicht lohnt sich zu wehren und Menschen doof sind. Angenehmer für beide Seiten ist, wenn das Pferd die Chance bekommt Fehler zu machen und daraus zu lernen. Doch dafür muss ich natürlich erstmal selber wissen, wie es richtig geht.

Kommen wir noch einmal zurück zu unserem Beispiel. Vielleicht hat Marie zum Geburtstag einen Lehrgang zum Thema Bodenarbeit geschenkt bekommen und diesen mit Lotti besucht oder einen Ratgeber gefunden, der sie nicht wie Erwachsener Nummer eins in eine Sackgasse führt sondern ihr den richtigen Weg zeigt. Marie für ihren Teil weiß nun zumindest wie es geht und mit einem Plan in ihrem kleinen Kopf macht sie sich ans Werk, denn sie hat verstanden, dass sie Lotti nicht zwingen kann ihre Füße still zu halten sondern es viel besser ist, ihr zu erklären, dass es anders vielleicht viel angenehmer und stressfreier für beide Seiten ist. Denn schließlich hat auch Lotti Bedürfnisse und dass es für Fluchttiere nicht angenehm ist, wenn man sie mehr und mehr einschränkt, hat auch Marie mittlerweile verstanden.

Also geht Marie mit Lotti nun jeden Tag zum Putzplatz, stellt sie vor den Anbinder, bindet sie so lang an, dass der Strick locker hängt und mit einem deutlichen „Steh!“ sagt sie ihr, was sie von ihr erwartet. Natürlich wird Lotti das nicht sofort verstehen und vielleicht wieder anfangen zu hampeln. Doch Marie hat gelernt dieses Verhalten nicht zu unterbinden in dem sie Lotti in eine starre Form zwingt in der sie keine Wahl mehr hat sondern lässt sie diesen „Fehler“ (Fehler = ungewünschtes Verhalten) machen und stellt Lotti ruhig und bestimmt wieder zurück in ihre Position. Wieder bekommt Lotti ihr Kommando „Steh!“ und das Spiel beginnt von vorn. Natürlich muss Marie ein bisschen Geduld haben und vor allem ein gutes Timing. Immer wenn Lotti für einen kurzen Moment still steht, wird sie sofort gelobt und ansonsten eben wieder in Ruhe korrigiert. Denn Marie hat auch gelernt, dass Lotti nur dann ruhig ist, wenn Marie selber auch ruhig bleibt. Vielleicht spielen sie dieses Spiel an diesem Tag 20 oder 30 Mal bis Marie merkt, dass Lotti langsamwirklich etwas ruhiger wird und die Übung beendet. Mit viel Geduld wird sie auch die Tage danach weiter üben und Stück für Stück wird Lotti mit der Zeit ruhiger werden. Spätestens jetzt wird Marie erkannt haben, dass sie auf dem richtigen Weg ist und vorher einen Fehler gemacht hat. Auch Lotti lernt Stück für Stück, dass sie in Maries Augen einen Fehler macht, wenn sie rumhampelt. Sie lernt durch Maries Korrektur auf ruhige Art und Weise, dass es entspannter ist, wenn sie am Putzplatz ruhig stehen bleibt und sich das Rumhampeln einfach nicht lohnt, schließlich muss sie ja doch zurück auf ihren Platz. Dadurch, dass MarieLottis erlaubt hat den selben „Fehler“ wieder und wieder zu machen und er für Lotti immer die selbe Konsequenz hatte,bekam Lotti die Chance zuverstehen, was gewünscht ist und was nicht. Sie konnte ihr Verhalten und die Konsequenz in Verbindung bringen.Es geht also nicht darumunter allen Umständen zu vermeiden, dass das Pferd einen Fehler wiederholt sondern viel mehr darum ihm die Chance zu geben ihn so oftzu machen, dass es daraus lernen kann.Schließlich hatte Lotti ja versucht sich durch ihr Verhalten mitzuteilen – sie wurde nur nicht verstanden.

Es ist ein Geschenk sich über die eigenen Fehler ärgern zu können!

All denen, die bis hierhin durchgehalten haben, möchte ich diesen Satz mit auf den Weg geben. Es kommt immer wieder mal vor, dass man in der Arbeit mit Pferden irgendwo was „verbockt“. Manchmal ist man so begeistert und genießt die gemeinsameHarmonie so sehr, dass man vergisst, dass man aufhören sollte, wenn es am schönsten ist.Schließlichkommt manmit Mühe und Not zu einem halbwegs gescheiten Abschluss und ärgert sich, weil man die Kurve nicht gekriegt hat. Passiert, kommt vor, sogar erfahrene Trainer können sich von diesem Phänomen nicht frei sprechen.Zu viel gewollt, dem Pferd das verdiente Erfolgserlebnis versaut – das schlechte Gewissen macht sich breit. Die Fähigkeit das zu erkennen, ist ein Geschenk, für das wir dankbar sein sollten, denn das bedeutet auch, dass wir in der Lage sind uns selbst zu reflektieren. Doch es steckt noch viel mehr dahinter: Fehler, die beiläufig passieren und kaum wahrgenommen werden, treten immer wieder mal auf, aber die eigenen Fehler, die unsso bewusst sind, dass wir uns über sie ärgern, sind die Fehler aus denen wir am meisten lernen!In dem Moment, in dem wir uns über sie ärgern, haben wir sie sehr bewusst wahrgenommen und sindbeim nächsten Mal daher umso mehr bemühtsie nicht zu wiederholen. Gleichzeitig lehren sie uns dankbarzu sein für das, was wir da „verbockt“haben. Für das,das uns so gefesselt hat, dass wir gar nicht genug davon bekommen konnten. „Nicht aufhören können/wollen“ ist vielleicht der schönste Fehler von allen – weiler ein Fehler ist, den wir mit dem Herzenmachen, nicht mit dem Verstand. Zumindest bei den Menschen, dieauf der Suche nach einer harmonischen Partnerschaft mit ihrem Pferd sind – alle anderen, ach ihr wisst schon…

Und am Ende haben unsere Pferdegenau wie wir Freude an gemeinsamer Harmonie, so dass sie uns solche Ausrutscher von Herzen gern verzeihen.

Ich bedanke mich von Herzen bei Lisa, die mir mit ihrer wunderbaren selbstreflektierten Art die Inspiration zu diesem Artikel lieferte. Pferdemenschen wie sie sind ein Geschenk für jedes Pferd. Vielen Dank.

Fehler machen will gelernt sein… (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Velia Krajcik

Last Updated:

Views: 5453

Rating: 4.3 / 5 (74 voted)

Reviews: 81% of readers found this page helpful

Author information

Name: Velia Krajcik

Birthday: 1996-07-27

Address: 520 Balistreri Mount, South Armand, OR 60528

Phone: +466880739437

Job: Future Retail Associate

Hobby: Polo, Scouting, Worldbuilding, Cosplaying, Photography, Rowing, Nordic skating

Introduction: My name is Velia Krajcik, I am a handsome, clean, lucky, gleaming, magnificent, proud, glorious person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.